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Aktueller Prospekt Rossmann - Prospekte - von 01.11 bis 30.11.2024
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GESELLSCHAFT / Interview Wohle der Gemeinschaft leisten. Ordnung und Struktur haben für sie einen ganz großen Stellenwert, nur so kann die Gesellschaft für sie funktionieren. Schauen Sie sich Tokio an, hier leben 37,2 Millionen Menschen, und das funktioniert. „Akikos stilles Glück“ heißt Ihr neuer Roman – die Geschichte einer 29-jährigen Japanerin, auf der Suche nach sich, einem Weg aus der Einsamkeit, ihren Träumen, der Liebe. Wie war es für Sie, in diese Rolle zu schlüpfen? Jan-Philipp Sendker: Ich habe lange mit mir gerungen. Darf ich das? Ja! Aber traue ich mir das auch zu? Ich habe mir Hilfe geholt, an die 100 Gespräche mit Japanerinnen und Japanern geführt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie bewegt, was ihnen wichtig ist. Und auch während des Schreibens habe ich mir immer wieder die Rückmeldung von japanischen Freunden geholt, das Manuskript zum Schluss fünf Japanerinnen geschickt. Meine Erleichterung war groß, als von ihnen begeisterte Rückmeldungen kamen. Was war die größere Herausforderung: sich in eine junge Frau hineinzuversetzen oder einer anderen Kultur nachzuspüren? J.-P. S.: Japanisch zu denken, sich in die gesellschaftlichen Besonderheiten hineinzufühlen, war sicherlich deutlich komplizierter. Auch wenn ich das Land schon viele Male besucht habe, japanische Freunde habe, unterlaufen mir immer wieder Fehler. Welche? J.-P. S.: Würde eine junge japanische Frau auf Fragen klar mit Nein antworten? Sicher nicht, sie würde umschreiben, was sie meint. Würde sie aus Nervosität mit den Stäbchen beim Essen spielen? Auf keinen Fall, da sie von klein auf gelernt hat, dass sich das nicht gehört. Und auch, wenn ich es besser weiß, frage ich japanische Freunde immer noch, wenn wir uns verabreden: Wohin möchtest du essen gehen? Eine höfliche Frage – wo liegt das Problem? J.-P. S.: Japaner bringe ich mit dieser Frage in eine schwierige Situation, da sie sich nun fragen müssen: Was würde mir gefallen, welchen Vorschlag können sie mir jetzt machen, um meinem Geschmack gerecht zu werden? Was ist die Intention dahinter? Nehmen sich Menschen in Japan so viel stärker zurück? Stellen sie ihre Bedürfnisse immer hinten an? J.-P. S.: Die Gesellschaft in Japan spielt eine ganz andere Rolle als bei uns. Ich bin ein Teil davon und muss meinen Beitrag zum 36 Sie hatten ein einschneidendes Erlebnis, das dazu führte, dass Sie das Land nicht vergessen konnten – und nun nach Romanen, die in Burma und China spielten, eine JapanTrilogie begonnen haben. J.-P. S.: Am 18. Januar 1995 war ich das erste Mal in Japan, als Auslandskorrespondent vom „Stern“, im vom Erdbeben zerstörten Kobe. Die Bilder werde ich nie vergessen. Trotz der Zerstörung stellten sich die Japaner mit Disziplin, Würde und Stärke diesem Chaos. i Jan-Philipp Sendker Mit weltweit über vier Millionen verkauften Büchern ist Jan-Philipp Sendker einer der aktuell erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Die Bücher des ehemaligen Amerika- und Asien-Korrespondenten des „Stern“ wurden in 35 Sprachen übersetzt. Der 64-Jährige lebt mit seiner Familie in Potsdam. Jeder kennt seinen Platz, ist Teil eines großen Ganzen, und doch steht in Ihrem Buch eine Lebensform im Fokus, die wir in Deutschland nicht kennen: die Hikikomori. J.-P. S.: Akiko trifft ihre Jugendliebe Kento wieder – Kento ist ein Hikikomori, er lebt vollkommen isoliert, verlässt seine Wohnung nur nach Einbruch der Dunkelheit und hat lange Zeit kein einziges Wort mit einem Menschen gesprochen. Hikikomori sind in Japan bekannt und ein fester Begriff. Einsame Menschen gibt es auch in Deutschland. J.-P. S.: Hikikomori sind anders als Menschen, die sich bewusst und aus freien Stücken dafür entscheiden, allein zu leben. Sie ziehen sich in die Isolation zurück, weil sie den Druck und die Erwartungen der Gesellschaft und der Familie nicht mehr ertragen. Sie können einfach nicht mehr. Auf eine Art ist es auch eine stille Rebellion. Und jeder in Japan, mit dem ich gesprochen habe, kennt jemanden, der als Hikikomori lebte oder lebt. Manche isolieren sich für ein Jahr, andere für Jahrzehnte. Schätzungen gehen von 1,2 Millionen Japanern aus, die so leben. Es betrifft Teenager, die ihr Kinderzimmer nicht mehr im Beisein von Eltern und Geschwistern verlassen, ebenso wie Erwachsene. Diesen Menschen ist alles zu viel. Und doch schafft es Akiko, Kento zu Dingen zu bewegen, die er viele Jahre nicht mehr getan hat.